Bericht am 13. Februar 2019
In „Reden über Film“, dem Berlinale-Talk der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“, geht es am 12. Februar 2019 über innovative Auswertungsmodelle für den jungen deutschen Autorenfilm und das Potenzial von Streamingdiensten.
Die Audi Lounge direkt vorm Eingang zum Berlinale Palast ist bis auf den letzten Platz gefüllt an diesem Dienstag-Vormittag, als Filmemacher Linus de Paoli (der kurzfristig die Moderation von Linda Söffker, Leiterin der für den deutschen Filmnachwuchs reservierten Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“, übernommen hat) die Veranstaltungsreihe „Reden über Film“ eröffnet und seine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner vorstellt. Auf dem Podium sitzen Veronika Kaserer, Tini Tüllmann, Anna Wendt, Philipp Eichholtz und Stefan Gieren – Vertreterinnen und Vertreter des jungen deutschen Autoren- oder besser: des jungen deutschen Low-Low-Budget Films. Die zentrale Frage: Welche Erfahrungen haben sie gemacht mit der Auswertung ihrer ersten Filme? Bieten vor allem Streamingdienste wie Amazon, Netflix & Co. tatsächlich eine Alternative zu herkömmlichen Verleihern? Zeigen sie vielleicht sogar einen besseren Weg auf, um „raus aus der Nische“ zu kommen und ein Publikum zu finden?
Veronika Kaserer (Überall wo wir sind), Tini Tüllmann (Freddy/Eddy), Anna Wendt (Schultersieg), Philipp Eichholtz (Rückenwind von vorn) und Stefan Gieren (Whatever Happens Next) haben mehrere Dinge gemeinsam: Ihre oft ohne Filmförderung und Senderbeteiligung produzierten Kinofilme liefen auf hochrangigen Festivals, räumten angesehene Preise ab – hatten dann aber gewaltige Schwierigkeiten, überhaupt ein Publikum finden zu dürfen (Tenor der Verleiher, aber auch der TV-Sender: fehlende Rentabilität). Also gründeten die Filmemacherinnen und Filmemacher kurzerhand selbst einen Verleih oder brachten den Film in Eigenregie heraus (inklusive Vorsprechen im Kino). Vor allem aber beschritten sie eine Kooperation mit Streamingdiensten, insbesondere in Form des mittlerweile schon wieder eingestellten Formats „Amazon Film Festival Stars“. Das klingt nach einer vielversprechenden Strategie, wenn man sich die realistischen Schilderungen der Branchenstrukturen vor Augen hält. Denn zu diesen gehört nicht nur, dass unter Verleihern ein gewisses Schubladen-Denken vorherrscht und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bei sperrigen bzw. ungewöhnlichen Stoffen häufig abwinken. In der Regel ist die wichtige Verleihförderung ferner an die Produktionsförderung gekoppelt und ebenso ein Kinostart nötig, um den DVD-Vertrieb in die Wege zu leiten. Ohnehin, rechnet Stefan Gieren vor, sei der traditionelle Auswertungsweg für sehr kleine Filme kaum lukrativ, da aus der Filmverwertung erst ein Geschäftsmodell werden könne, wenn dieser mehr als 20.000 Zuschauer erreicht habe.
Erfolgsgeschichten hören sich dann allerdings anders an. Philipp Eichholtz berichtet von den Verhandlungen mit Amazon (es wurde ein Angebot unterbreitet, das im Wesentlichen die sogenannte „Minimum-Garantie“ beinhaltete, nach zehn Minuten war das Treffen schon wieder vorüber und auf die Mainpage gelangte der Film nie). Dazu passend ergänzt Tini Tüllmann enttäuschende Zahlen: Freddy/Eddy kam deutschlandweit in fünf Monaten gerade mal auf 660 Abrufe, wobei sich in ihrem Fall immerhin jeder Klick unmittelbar bezahlt macht. Dass die so fließenden Summen aber verschwindend gering sein können, verdeutlicht Anna Wendt: Die Payment-Checks für den internationalen Vertrieb ihres Dokumentarfilms Schultersieg hätten mal 57, mal 96 Cent pro Monat betragen. Lukrativ an Wendts Deal mit Amazon seien bloß die eigentlich für das Marketing vorgesehenen 25.000 US-Dollar gewesen, welche die Filmemacherin aber als Gewinn verbucht habe, um so zumindest Rückstellungen zahlen zu können. Wenigstens die Erfahrungen von Stefan Gieren unterscheiden sich von diesen Erlebnissen. Er verzeichnet aus dem Amazon-Weltvertrieb monatliche Einnahmen im dreistelligen Bereich und erzählt von der Wichtigkeit zusätzlicher Synchronfassungen, die er gerade selbst erstellt, um auf diesem Weg weitere gewinnträchtige Sprachterritorien zu erschließen.
Der auf dem Podium weitergegebene Erfahrungsschatz dürfte bei den mehrheitlich jungen Zuhörerinnen und Zuhörer in der Audi Lounge nicht unbedingt Euphorie auslösen. Zwar spricht natürlich nichts dagegen, selbst den Kontakt mit großen Streaming-Playern zu suchen, damit der eigene Film in Deutschland, aber auch international gesehen wird oder zumindest auffindbar bleibt. Und wenn die damit verbundenen Tantiemen wenigstens eine kleine Einnahmequelle darstellen, umso besser. Doch ist es eine Illusion, hier den Heilsbringer für den jungen deutschen Autorenfilm zu sehen, der dem Nischendasein und der prekären ökonomischen Situation seiner Vertreterinnen und Vertreter so schnell ein Ende bereitet. Verhandlungen auf Augenhöhe sind nicht zu erwarten, vielmehr besteht die Gefahr, dass der gerade im Nachwuchsbereich vorherrschende Idealismus ausgenutzt wird. Was es bedeutet, wenn Künstlerinnen und Künstler ihre Produkte auch noch von A bis Z selbst verkaufen müssen, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt.