Bericht am 18. Juni 2018
Über 150 Drehbuchautoren in Deutschland fordern mehr Mitbestimmung und geben eine Selbstverpflichtungserklärung ab. Mit Blick auf die Strukturen der Filmproduktion hierzulande ein überfällig anmutender Schritt.
„Als Drehbuchautor kann man in der Branche ein total angesehener Typ sein und draußen weiß niemand, wer man ist“, resümierte Oliver Ziegenbalg (Mein Blinddate mit dem Leben) im Interview 2017 die öffentliche Wahrnehmung seines Berufs und fügte hinzu: „Natürlich sitze ich manchmal da und denke mir: Jetzt wird der Regisseur gefeiert für das Ding, an dem ich auch einen Riesenanteil hatte, während mein Name noch nicht einmal auftaucht.“ Mag diese Tatsache für Ziegenbalg, der sich nach einem Studium der Wirtschaftsmathematik über die RTL-Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten sowie mehrere Auftragsarbeiten (etwa für die Produzenten Max Wiedemann und Quirin Berg) Zutritt zum Berufsfeld Film verschaffte (und dort mittlerweile eine hoch angesehene Position einnimmt), kein ernsthaftes Problem darstellen („Wenn der Film schiefgeht, kann man sich als Drehbuchautor auch wunderbar hinter dem Regisseur verstecken“), verweist sie dennoch auf einen tiefer gelagerten Missstand: Das Wirken von Drehbuchautoren im Verborgenen hat zur Folge, dass ihr zentraler Stellenwert im Entstehungsprozess von Filmen gerade in Deutschland nicht genügend anerkannt wird. Dabei beziehen sich die Defizite nicht nur auf die kaum institutionalisierte Ausbildung oder die vergleichsweise gering ausgestatteten öffentlichen Töpfe für die Drehbuchförderung. In den Vereinigten Staaten, aber genauso etwa in Frankreich, Großbritannien oder Skandinavien hat der Beruf Drehbuchautor in der jüngeren Vergangenheit einen gehörigen Ansehenszuwachs erfahren und es ist nicht vermessen zu behaupten, dass die gestiegene Wertschätzung der kreativen Rolle von Drehbuchautoren sowohl Innovationen als auch künstlerische Leistungen im Bereich Film und Fernsehen bzw. Serien befeuert hat. Hierzulande begrenzen die Strukturen der Filmproduktion bisweilen das schöpferische Potenzial und wird die Arbeit der Autoren schlussendlich oft der eigenen (Qualitäts-)Kontrolle entzogen.
Dieser Vorspann ist nötig, um zu verstehen, warum knapp 100 Drehbuchautoren aus Deutschland mit der verbands- und organisationsunabhängigen Initiative „Kontrakt ’18“ in der ersten Juni-Hälfte 2018 an die Öffentlichkeit gegangen sind und in welchem Zusammenhang ihre Forderung nach mehr Mitbestimmung (und Qualität) im deutschen Film und Fernsehen steht. Natürlich gab es auch einen konkreten Anlass, der sinnbildlich für die soeben skizzierte Gemengelage ist: die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises im Januar 2018, zu dem Drehbuchautoren erst nachträglich im Zuge eines dann doch vernehmbaren öffentlichen Protests geladen wurden und in dessen Folge die Autorinnen und Autoren Kristin Derfler, Orkun Ertener, Annette Hess und Volker A. Zahn den Entschluss fassten, über neue Wege für ihren Beruf nachzudenken. Das Ergebnis nach mehreren Verhandlungsrunden im immer größer werdenden Kreis ist ein Forderungskatalog und zugleich auch eine Selbstverpflichtung. Ein Aufstand, der an dieser Stelle vollständig zitiert werden soll (so wie er auch auf der Website „Kontrakt ’18“ nachzulesen ist):
„Wir sind Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren. Wir schreiben Filme. Ohne unsere Geschichten gibt es weder Serien noch Kinofilme noch TV-Movies. Wir erschaffen die Figuren, die Plots, die Twists, die Dialoge, aus denen bewegte und bewegende Bilder werden. Unsere Bücher sind die Basis und das Herz eines jeden Films. Diese zentrale Position der Autorin und des Autors findet hierzulande jedoch weder in den Verträgen noch im Prozess der Filmherstellung einen angemessenen Widerhall. Das wollen wir ändern.
Deshalb erwarten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, dass auch in Deutschland Vertrags- und Verhaltensstandards eingeführt werden, die in anderen Ländern schon lange selbstverständlich sind, weil sie die Qualität von Filmwerken verbessern.
Ab dem 1. Juli 2018 werden die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Erklärung nur dann in Vertragsverhandlungen eintreten, wenn ihnen folgende Optionen angeboten werden:
Punkt 1: Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.
Punkt 2: Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.
Punkt 3: Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.
Punkt 4: Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.
Punkt 5: Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.
Punkt 6: Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u.ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.“
Gewiss handelt es sich hierbei um die Perspektiven von Drehbuchautoren und damit nur von einem (wenn auch essenziellen) Akteur im Produktionsprozess von Filmwerken. Die aufgeführten Punkte sprechen aber trotzdem Bände über Machtkonstellationen sowie offenbar gängige Mechanismen der filmischen Aussagenentstehung in Deutschland und es ist bezeichnend, dass sich nur wenige Tage nach Veröffentlichung weitere 70 Vertreter der Zunft dem Vertrag angeschlossen haben (die vollständige Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner findet sich ebenfalls auf der Website des Vertragswerks). Die überbordende mediale Resonanz auf „Kontrakt ’18“ (nicht nur Branchenplattformen, sondern auch alle Feuilletons dieses Landes berichteten ausführlich) war dennoch bis zu einem gewissen Grad überraschend – vor allem im Vergleich zur eher verhalten ausgefallenen Reaktion auf die „Frankfurter Positionen“, die im Rahmen des Kongresses zu Perspektiven der deutschen Film- und Kinokultur zwei Monate zuvor in Frankfurt/Main erarbeitet wurden und noch viel revolutionärer anmuten. Vielleicht ist der hier formulierte Forderungskatalog einfach griffiger und passt besser zu einer Zeit, in der heimische Branche und Öffentlichkeit angesichts des Erfolges von Serien wie „Dark“ oder „Babylon Berlin“ allerorts über das Potenzial dieses Formats diskutieren.
Dass ambitionierte Drehbuchautoren auch in Deutschland heiß begehrt sind, ist längst ein offenes Geheimnis. Oliver Ziegenbalg, dessen Name erstaunlicherweise in der Liste der Unterzeichner von „Kontrakt ’18“ fehlt, monierte, Drehbuchautoren machten sich „immer so klein“ und hofften, „dass unsere Arbeit dem Regisseur oder dem Redakteur gefällt“. Deshalb gelte es vor allem, am eigenen Selbstverständnis zu arbeiten und dieses nach außen zu tragen, denn „dann werden wir auch eine andere öffentliche Wahrnehmung bekommen“. Dieses Anliegen dürfte sich jetzt erfüllt haben. Ob „Kontrakt ’18“ aber mehr als ein Lippenbekenntnis ist, tatsächlich einen Richtungswechsel einläutet und feste Strukturen verändern kann, wird sich ab Juli 2018 zeigen.