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DFG-Projekt zur Wirklichkeitskonstruktion im deutschen Kinofilm abgeschlossen

Werkstatt-Eintrag am 23. Mai 2024

Nach „Making of … Das handelnde Zusammenwirken im Entstehungsprozess von Spielfilmen in Deutschland“ ist 2023 auch das Fortsetzungsprojekt „Diskursive Wirklichkeitskonstruktion im deutschen Kinospielfilm“ beendet worden. Ein erstes Resümee.

 

Vor dem Hintergrund des Systems der Filmförderung fragte das Projekt „Making of … Das handelnde Zusammenwirken im Entstehungsprozess von Spielfilmen in Deutschland“ nach den Mechanismen und Konventionen im Zustandekommen deutscher Kinospielfilme (Produktionsebene). Zeigen ließ sich, dass das heimische Filmschaffen auch eine politische Dimension besitzt und Hierarchien ausdrückt, die über ökonomische Parameter hinausgehen und autonomes Handeln in der Branche begrenzen. Die Befunde legten außerdem nahe, dass im Rahmen der für den Filmentstehungsprozess charakteristischen Akteur-Struktur-Dynamiken ebenso eine bewusste oder unbewusste Auseinandersetzung um legitime Sinnmuster stattfindet, die sich in den filmischen Wirklichkeitskonstruktionen niederschlagen und, mit Foucault gesprochen, herrschenden Wissensstrukturen Vorschub leisten dürfte.

Ziel des Fortsetzungsprojekts „Diskursive Wirklichkeitskonstruktion im deutschen Kinospielfilm“ war es demnach, zu diesen dominanten Wissens- und Deutungsangeboten (Produktebene) vorzudringen. Gestützt auf die Diskurstheorie wurde gefragt, welche diskursiven Regeln der Wirklichkeitskonstruktion im Medium Film zugrunde liegen. Anleihe gemacht wurde dabei vor allem bei zwei erprobten Weiterentwicklungen des diskurstheoretischen Denkgebäudes, dem diskursiven Institutionalismus und der Kritischen Diskursanalyse, mit denen sich zugleich Querverbindungen zur Medieninhaltsanalyse und zur Filmanalyse herstellen ließen. Das Forschungsmaterial umfasste 40 kommerziell oder künstlerisch erfolgreiche deutsche Kinospielfilmproduktionen aus den Jahren 2012 bis 2020 (Komödien und Dramen), die möglichst viele Bereiche behandelten, die für die soziale Wirklichkeit als wesentlich erschienen („Arbeit und Wirtschaft“, „Bildung und Erziehung“, „Familie, Freundschaft und Liebe“, „Flucht und Migration“, „Geschlecht bzw. Gender“, „Krankheit und Behinderung“, „Lebensalter“, „Politik und Geschichte“). Flankiert wurden die Filme von einer Vielzahl zusätzlicher Dokumente, darunter Film-Begleitmaterialien, Rezensionen, Prädikatsbegründungen, aber ebenso Informationsmaterial aus der Politik und Sozialerhebungen zu den filmisch behandelten Themen und Gegenständen. Die Auswertung erfolgte mithilfe eines Kategoriensystems.

Die Ergebnisse des Fortsetzungsprojekts offenbaren, dass die in den untersuchten Kinospielfilmen enthaltenen Vorstellungen von Welt über alle Diskursstränge hinweg durchdrungen sind von privatem Glück, Selbstverwirklichung, Zusammenhalt und Ethik als zentralen Denkkategorien – von Deutungsangeboten, die einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft haben. Doch steht dem gegenüber, dass die filmische Bedeutungskonstitution nur in einem eng abgesteckten Rahmen erfolgt, sich durch ein hohes Maß an gestalterischer Konventionalität auszeichnet und herrschende Wissensstrukturen meist nicht untergräbt. Zumindest in den hier untersuchten Fällen sorgt der deutsche Kinospielfilm nur selten für Irritation und schöpft seine imaginative Kraft und sein emanzipatorisches Potenzial höchstens bedingt aus. Gewiss hat das auch damit zu tun, dass die von den Filmen zur Schau gestellte Wirklichkeit mitunter idealistische Züge annimmt und mit bloß wenig vielfältigen Perspektiven operiert. Und bemerkenswert ist darüber hinaus die weitgehende Abwesenheit von Politik im engeren Sinne. Tatsächlich sind es insgesamt betrachtet am ehesten die künstlerisch erfolgreichen Spielfilme im Sample, die mit mehr Facettenreichtum aufwarten. Doch ist davon auszugehen, dass mit diesen von Anfang an kein größeres Publikum anvisiert wurde, wenigstens nicht an vorderster Stelle. Anders gesagt: Je kleiner die öffentliche Arena bemessen ist, desto größer fallen auch die Freiheitsgrade der filmischen Wirklichkeitskonstruktion aus.

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