Bericht am 18. Januar 2022
Ein umfangreiches Manifest „Für ein Kino nach Corona“ hat Georg Seeßlen im März 2021 vorgelegt. Im dritten Pandemiejahr regt es erst recht zum Nachdenken an.
„Das Mainstreamkino ist tot. Wir glauben an ein anderes.“ Damit endet das Manifest „Für ein Kino nach Corona“ des Filmkritikers Georg Seeßlen, veröffentlicht am 26. März des vergangenen Jahres auf dem Portal epd Film. Auf Seite 6, würde man den Text ausdrucken, nach viel kritischer Gegenwarts-Analyse. Man mag dem Autor eine einseitige, marktkritische und in weiten Teilen kulturpessimistische Sicht vorwerfen. Die politökonomisch fundierte Auseinandersetzung mit der Filmproduktion und Filmdistribution in Deutschland, eingebunden in den Weltmarkt, ist allemal beachtlich. Streaming-Plattformen, Marketing und die Prekarisierung der Produktion, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Filmförderung und Corona. Pointiert, provokant, polarisierend. 15 Punkte Beschreibung des Ist-Zustandes, zehn Punkte Handlungsempfehlungen. Die Kraft der Theoriebrille, mit der die Abhängigkeit des Filmschaffens von politischen und ökonomischen Interessen im Online-Kapitalismus geschildert wird (Stichwörter: Entfremdung, Vorherrschaft der Monopolware), entfaltet jetzt, im dritten Pandemiejahr, nur noch mehr Wucht, die Thesen bieten Diskussionsstoff und regen zum Nachdenken an. Sie stehlen der Frage, was man der „turbokapitalistischen Produktion“, der „Hegemonie der großen Traumfabriken“ und den „politisch und kulturell bedingten Förder- und Sponsorensystemen“ entgegensetzen kann, aber auch ein bisschen die Schau. Die Alternative, auf die Seeßlen seine Hoffnung richtet in dem Manifest, das er vorab mit Regisseur Christoph Hochhäusler und Student:innen der DFFB diskutiert hat: eine „demokratische Form des Kollektivs“, eine „neue Kinobewegung“ mit Mut zum Experiment, unabhängig und kosmopolitisch. Auch nur ein schöner Traum?