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Geschichtsstunde in der Deutschen Kinemathek

Bericht am 11. September 2017

Der geführte Rundgang durch die Ständige Ausstellung des Museums für Film und Fernsehen der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz in Berlin – ein Streifzug durch über 100 Jahre deutsche Filmgeschichte mit einem klaren Fokus auf die Anfänge des Mediums, auf Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl. Die Präsentation des jüngeren und jüngsten Filmerbes geht dagegen kaum über Namedropping hinaus.

 

Das audiovisuelle Erbe, darum geht es der Deutschen Kinemathek. Das Sammeln, Bewahren, Erschließen, Präsentieren und Vermitteln seien die Aufgaben der Einrichtung seit ihrer Eröffnung im Jahr 1963, informiert das Faltblatt. Das Filmhaus am Potsdamer Platz in Berlin ist nicht nur Sitz des Museums für Film und Fernsehen, sondern auch eines umfassenden Filmarchivs, einer Mediathek Fernsehen, einer Fachbibliothek sowie der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Der attraktive Erstzugang: Jeden Sonntag wird eine durchaus fachkundige, 90-minütige Führung durch die Ständige Ausstellung des Museums angeboten, für die man lediglich den regulären Eintrittspreis (7 Euro) berappen muss.

Der Streifzug durch über ein Jahrhundert deutscher Film beginnt, natürlich, 1895 mit den Bioskop-Vorführungen der Brüder Skladanowsky im Berliner Wintergarten. Klar wird auch in der Folge: Filmgeschichte ist zunächst vor allem Technikgeschichte (durchaus beeindruckend: die Strategien zur Beseitigung des Bildflackerns, die ersten Kombinationen von Bild und Ton, die Einfärbung der Schwarz-Weiß-Bilder je nach Stimmungslage und Tageszeit). Und dann kommen auch schon die Klassiker der Weimarer Republik, etwa Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene, Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau (beide Expressionisten mit großem Einfluss auf Hollywood bis heute) und M – Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang. Der andere in der Ständigen Ausstellung groß gewürdigte Fritz-Lang-Film, Metropolis, ist nicht nur aufgrund der dargestellten futuristischen Set-Entwürfe interessant: Einst mit 600.000 Reichsmark kalkuliert, kostete das Mammutwerk die UFA schließlich drei Millionen, die es aber nie einspielen konnte, sodass es mehrfach gekürzt wurde. Die ursprüngliche Langversion jedoch verschwand in den Wirren der folgenden Jahrzehnte, tauchte schließlich erst 2008 wieder in Buenos Aires auf – und wurde dann von der Deutschen Kinemathek aufgearbeitet sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (als 95-Prozent-Originalfassung).

Der Faszination deutscher Filmgeschichte nachspüren lässt sich wohl am ehesten in dem Ausstellungsbereich, der Marlene Dietrich (Der blaue Engel und viele Filme mehr) gewidmet ist. Mit den wechselnden Exponaten aus der Sammlung der Schauspielerin und Sängerin (Hosenanzüge, ein Chanel-Kleid) kommen Fans hier voll auf ihre Kosten. Spannend ist allerdings auch, dass sich NS-Propagandaminister Goebbels vergeblich darum bemühte, der in die USA emigrierten Dietrich eine Rückkehr nach Deutschland schmackhaft zu machen, diese aber dort schließlich Propaganda für den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg machte („I don’t hate the Germans, I hate the Nazis“).

Die zweite Frau, die von der Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen in den Mittelpunkt gerückt wird, ist Leni Riefenstahl (Triumph des Willens, Olympia). Bahnbrechende Ästhetik vs. Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus, so lautet der Frame, und auch die Abhandlung zum deutschen Filmschaffen von 1933 bis 1945 folgt der bewährten Einordnung zwischen Propaganda (Hitlerjunge Quex, Jud Süß) und Unterhaltung (Die Feuerzangenbowle), ohne dass die Flucht zahlreicher Filmemacher ins Exil oder etwa auch das erschütternde Dokumentarfilmprojekt Theresienstadt unberücksichtigt bleiben.

Viel Zeit, um in der Gegenwart anzukommen, ist für den geführten Rundgang nun nicht mehr. Erstaunlicherweise verbleiben aber auch nur noch zwei Ausstellungsräume. Zugunsten des Nachkriegsfilms (Trümmerfilm, Vergangenheitsarbeit, Neuauflage des Heimatfilms – mit durchaus unterschiedlichem Anklang beim zeitgenössischen Publikum) wird an den Schaukästen zum „Oberhauser Manifest“, zum deutschen Autorenfilm und ebenso zu den filmischen Aufbruchsversuchen in der DDR rasch vorbeigeschritten. Immerhin zwei Bemerkungen zur Miniaturnachbildung des Schiffes aus Werner Herzogs Fitzcarraldo sowie zur Kameratechnik von Michael Ballhaus – und schon geht es an der Reihe ausgewählter Gewinner des Deutschen Filmpreises entlang bis zum letzten Fenster (Requisiten aus Der Staat gegen Fritz Bauer, wird aber bald ausgetauscht gegen Toni Erdmann). Der deutsche Film seit der Wiedervereinigung? Internationale Sichtbarkeit habe eigentlich nur Tom Tykwer mit Lola rennt erlangt. Ein paar Namen fallen trotzdem noch: die Regisseure Christian Petzold und Andreas Dresen etwa, sowie der verstorbene Produzent Bernd Eichinger und der in Hollywood tätige Roland Emmerich. Dann sind die 90 Minuten vorbei.

Natürlich hätte man nach diesem geführten Rundgang die Gelegenheit, sich gerade in den letzten Ausstellungsräumen noch länger aufzuhalten. Ins Auge würden dann weitere Lola-Gewinner der vergangenen Jahre fallen (Die Unberührbare von Oskar Roehler, Nirgendwo in Afrika von Caroline Link, Gegen die Wand von Fatih Akin), ebenso eine Leuchttafel mit den kommerziell erfolgreichsten Filmen der letzten Jahrzehnte (und wenigstens hier wird Fack Ju Göhte namentlich genannt). Und bestimmt könnte man auch noch weiterzurückgehen und sich in den Neuen Deutschen Film der 1970er-Jahre vertiefen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Deutsche Kinemathek sich für den heimischen Film der jüngeren und jüngsten Vergangenheit nur am Rande, der Vollständigkeit halber, interessiert und dabei vor allem Namedropping betreibt – während der soziale Kontext von Produktion und Rezeption ausgeblendet wird. Und: Ein Nachdenken darüber, wie das hier präsentierte audiovisuelle Erbe zustande kommt (Was findet Eingang und was nicht? Welche Rolle spielt dabei das Museum für Film und Fernsehen selbst?), lässt sich zumindest für den Besucher nicht nachvollziehen.

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