Rezension am 16. März 2018
Die wirtschaftliche Seite der Filmförderung drohe die kulturelle Seite zu marginalisieren, meint Lisa Giehl. In ihrer Dissertation an der Hochschule für Fernsehen und Film München plädiert die Förderreferentin beim FilmFernsehFonds Bayern dafür, dass der Kulturförderaspekt der Filmförderung wieder deutlicher wahrgenommen und weniger infrage gestellt wird.
Lisa Giehl: Kulturelles Kapital. Filmförderung in Deutschland. Köln: Herbert von Halem 2017 (Reihe „kommunikation audiovisuell“, herausgegeben von Michaela Krützen).
Lisa Giehl ist Förderreferentin beim FilmFernsehFonds Bayern. Ihre schlanke, mit allen Verzeichnissen 201 Seiten umfassende Dissertationsschrift an der Hochschule für Fernsehen und Film München (Bereich Medienwissenschaft) widmet sich der deutschen Filmförderung und damit einem Untersuchungsgegenstand, der auch für die Kommunikationswissenschaft Relevanz besitzt (konkret hinsichtlich der Auswirkung des politischen Gestaltungswillens auf Medienstrukturen, hier natürlich in Sachen Film). Außerdem ist ihr Fokus auf den Förderaspekt der Kulturförderung hochaktuell, man denke nur an die jüngste Novellierung des Filmförderungsgesetzes, die eine Akzentverschiebung zugunsten erfolgversprechenderer Projekte vorsieht. Mit ihrer Arbeit möchte die Autorin „Argumente dafür liefern, dass die Filmförderung ebenso eine Daseinsberechtigung als Kulturförderung hat und dass es gilt, diese nicht nur zu bewahren, sondern auch zu pflegen“ (S. 16). Dass Giehl die gegenwärtige Filmförderpraxis nicht nur diskutiert, sondern auch kritisch bewertet und darüber hinaus normative Vorschläge für eine klarer kulturpolitisch konturierte Organisation der Förderarchitektur in die Debatte wirft, ist angesichts ihrer beruflichen Position umso bemerkenswerter.
Der Weg bis zu diesem Plädoyer (den der Filmförderung immanenten Kulturaspekt wieder stärker zu akzentuieren und weniger infrage zu stellen) ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Nach einer Einleitung, in der vor allem auf den Doppelcharakter von Filmen als Kultur- und Wirtschaftsgut eingegangen wird sowie, daraus resultierend, auf das „Dilemma der Filmförderung“ (als Kultur- und Wirtschaftsförderung zugleich, S. 14), wählt die Autorin ein „gedankliches Experiment“ (S. 16): Unter Bezugnahme auf die Kapitaltheorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu erörtert sie knapp die „erstaunlichen Gemeinsamkeiten“ (S. 21) von Filmförderung und klassischem Mäzenatentum, genauer die bei beiden Formen der Kulturförderung stattfindenden Transformationen von ökonomischem Kapital (bei der Filmförderung: Fördermittel) in institutionalisiertes kulturelles Kapital (Filmfestivalteilnahmen, Filmpreise, Filmprädikate) und symbolisches Kapital (Kulturprestige). Was am Ende des Buches wieder wichtig wird: Diese Transformationen funktionieren zumindest potenziell auch in die andere Richtung.
Zur Vertiefung der Argumentation wird dann ausführlich, aber durchaus prägnant auf das System der institutionalisierten Filmförderung in Deutschland eingegangen. Der Reihe nach diskutiert werden ihre historische Entwicklung, ihre Förderziele und ihre Förderbereiche, aber auch die Herkunft ihrer Mittel (Filmabgabe, öffentliche Gelder, Public Private Partnership), die beiden Vergabesysteme (automatische und Referenzförderung sowie Projektförderung) und die gegenwärtige Förderpraxis. Aus dieser Übersicht hervorzuheben ist insbesondere der letzte Punkt, denn anders als die vielen existierenden Analysen, die den (Miss-)Erfolg der Filmförderung aufwendig mit wirtschaftlichen Parametern belegen möchten, wird hier eine leicht verständliche Auswertung der Jahre 2010 bis 2012 vorgelegt, die unmittelbar auf den Punkt bringt, wie hoch das jährliche Budget der Förderinstitutionen war (im Schnitt bei 336 Millionen Euro), in welchem Bereich der Förderschwerpunkt lag (in der Produktionsförderung), wie viele Filmprojekte finanziert wurden (mehrere Hundert), welche Filmprojekte mit mehr als einer Million Euro gefördert wurden (wenig überraschend zum Beispiel Cloud Atlas im Jahr 2011 mit 14,56 Millionen Euro), welche Produktionsfirmen besonders umfangreich unterstützt wurden (Constantin, X Filme Creative Pool, Ufa), wie hoch die Senderbeteiligung an den geförderten Projekten war (knapp 50 Prozent) und welche Genres vorrangig bezuschusst wurden (Dramen, Komödien, Kinder- und Animationsfilme).
Die darauffolgenden Porträts von fünf ausgewählten Mäzenen (natürlich Maecenas aus dem antiken Rom, aber auch der Renaissance-Florentiner Lorenzo de‘ Medici sowie König Ludwig II., die dem französischen Surrealismus geneigte Adelige Marie-Laure de Noailles und die Kunstsammlerin Julia Stoschek) sollen dann als „aussagekräftige Beispiele“ helfen, eine „möglichst große Bandbreite von Mäzenatentum“ abzubilden (S. 84). Jenseits des kulturgeschichtlichen Lesewerts stellt sich hier aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht die Frage, inwiefern eine solch ausführliche Abhandlung (gewissermaßen ein zweiter Theorieteil, der das Bourdieu-Kapitel längenmäßig bei Weitem übertrifft) an dieser Stelle zielführend ist. Der Autorin dienen die Beispiele mit Modellcharakter jedenfalls dazu, mögliche Strategien der Kulturförderung auszuloten – durchaus mit Gewinn, wie sie im Anschluss zu zeigen vermag.
Denn das Kapitel „Die Relevanz mäzenatischer Aspekte für die Filmförderung in Deutschland“, mit Sicherheit das Herzstück von Giehls Publikation, verknüpft die gewonnenen Erkenntnisse aus der historischen Kontextualisierung und der Systematisierung der Filmförderung sowie aus der Auswertung ihrer tatsächlichen Förderarbeit geschickt mit den unterschiedlichen Formen von Mäzenatentum. Herausgearbeitet werden so (um den Bogen zurück zum eigentlichen Anliegen des Buches zu schlagen) die Hindernisse, die einer deutlicheren Integration des kulturellen Fördergedankens in der Praxis der deutschen Filmförderung im Weg stehen. Konkret: Genau wie Maecenas setzten die Förderinstitutionen allzu sehr auf bereits Bewährtes, wie bei Lorenzo de‘ Medici stehe hinter der Förderung oftmals ein strategisches Denken mit politischen oder wirtschaftlichen Interessen und wie im Fall von Ludwig II. sei das Vergabesystem der Filmförderung nicht frei von Egoismus (etwa mit Blick auf die beteiligten Sender). Ebenso werden genau daraus konkrete Handlungsvorschläge abgeleitet. Zu diesem Maßnahmenkatalog, der auf den letzten 20 Seiten des Buchs präsentiert und mit Stimmen aus der Branche flankiert wird, gehören unter anderem die Forderungen, mehr Geld in bisher unterbelichtete Förderbereiche (Drehbuch, Postproduktion) zu stecken und die jährlich an eine Produktionsfirma ausgezahlten Fördersummen zu deckeln, ferner die Besetzung der Fördergremien zu überdenken (und etwa auch von der Senderbeteiligung zu entkoppeln), die Zielsetzungen der Filmförderung klarer zu fassen (im Sinne von Marie de Noailles: den kulturellen Stellenwert des Films stärker zu betonen und die zugesprochenen Förderbeträge deutlich anzuheben) sowie die Autonomie der Filmförderung zu erhöhen (frei nach Julia Stoschek beispielsweise durch die Beteiligung von Privatpersonen, durch institutionalisiertes Crowdfunding oder durch ein Kuratorenprinzip).
Was das alles mit Bourdieus Vorstellung der Transformierbarkeit von Kapitalsorten zu tun hat? Folgt man Lisa Giehl, liegt genau hier das Problem. Denn während es den klassischen Mäzenen nicht darum ging bzw. geht, das errungene kulturelle oder symbolische Kapital wieder in ökonomisches Kapital zurück zu verwandeln, ist dieser Gedanke bei der Filmförderung nicht von der Hand zu weisen. „Wirtschaftliche Parameter“, schreibt die Autorin als Fazit, „haben im Vergabeprozess durchaus ihre Berechtigung, solange sie nicht zum dominanten Entscheidungskriterium werden und kulturelle Aspekte wie künstlerischer Wert, inhaltliche Qualität, gesellschaftliche, soziale oder historische Relevanz ebenso eine Berücksichtigung finden. Schwierig wird es nur, wenn die Erzeugung von ökonomischem Kapital zur Legitimation von Filmförderung herangezogen wird. Eine solche Tendenz besteht gegenwärtig. Sie hat zur Folge, dass die kulturelle Seite der Filmförderung zunehmend marginalisiert wird.“ Vielleicht schlägt ja zumindest der FilmFernsehFonds Bayern bald neue Wege ein.