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Film- und Fernsehanalyse soziologisch gedacht

Rezension am 23. November 2018

Mit ihrem 2015 erschienenen Studienbuch richten sich Anja Peltzer und Angela Keppler explizit an Neulinge im Feld, die eine soziologische Analyse von Kinospielfilmen oder Fernsehsendungen durchführen möchten. Ein Leitfaden durch den gesamten Forschungsprozess, der anders als die meisten Filmanalyse-Einführungen eine sozialwissenschaftliche Handschrift trägt.

 

Anja Peltzer, Angela Keppler: Die soziologische Film- und Fernsehanalyse. Eine Einführung. Berlin: De Gruyter 2015.

Die Einführung zur Film- und Fernsehanalyse wurde von den Mediensoziologinnen Anja Peltzer und Angela Keppler bereits 2015 vorgelegt und verortet sich in der Soziologie. Sie reiht sich dort gewissermaßen in das neu formierte Feld der Filmsoziologie ein, welches das Medium Film vor dem Hintergrund seiner soziokulturellen, sozioökonomischen und institutionellen Bezugsfelder in den Fokus rückt. Dass die Publikation hier eine besondere Erwähnung verdient, lässt sich mit Blick auf die Forschungsliteratur begründen. So haben sich sowohl die Kommunikationswissenschaft wie auch die Sozialwissenschaften generell mehr als zurückgehalten mit der Vermittlung von Werkzeugen, wie der Inhalt audiovisueller Medienangebote untersucht werden kann. Weiter hilft ebenso wenig, dass die Methodologie zur Videoanalyse mittlerweile recht elaboriert ist, denn diese eignet sich für drehbuchbasierte Filme nur bedingt. Natürlich: Anleitungen zur Analyse von Bewegtbildern gibt es zur Genüge in der Medien- und Filmwissenschaft, doch bleiben diese größtenteils dem geisteswissenschaftlichen Paradigma verpflichtet und interessieren sich vorrangig für den Film als Kunstwerk, während Relationen zwischen filmischen und außerfilmischen Prozessen meist bloß am Rande Berücksichtigung finden.

Die soziologische Film- und Fernsehanalyse richtet sich explizit an Studierende, die Spielfilme oder Fernsehsendungen im Rahmen von Forschungsprojekten oder Abschlussarbeiten untersuchen möchten und hierfür das nötige Rüstzeug erhalten sollen. Dabei haben die Autorinnen den Anspruch, eine qualitative Methode der soziologischen Film- und Fernsehanalyse vorzustellen, die mediale Produkte in ihrer historischen und kulturellen Situierung untersucht. Ausgehend von der Annahme, dass Film und Fernsehen „allgegenwärtig und in vielfacher Hinsicht eingebettet in unseren Alltag“ auf die „Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ einwirken, zielt ein solches Forschungsprogramm den Autorinnen zufolge insbesondere auf die Frage, wie soziale Realität durch Produkte aus Film und Fernsehen „konstruiert und konturiert“ wird bzw. wie diese Medienangebote „zur Bildung und Umbildung gesellschaftlicher Relevanzen beitragen“ (S. VII). Zur Hand gegeben wird dafür auf 183 Seiten ein systematischer Leitfaden, der in sechs Kapiteln den gesamten Forschungsprozess (von der ersten Forschungsidee und der theoretischen Relevanzbegründung über das Forschungsdesign und die wesentlichen Analyseverfahren bis hin zur Aufbereitung und Niederschrift der Ergebnisse) behandelt. Den Lehrbuch-Charakter unterstreichen die eingefügten Info-Kästen, Kurzzusammenfassungen und Checklisten sowie die zahlreichen forschungspraktischen Tipps.

Für die vorliegende Rezension am gehaltvollsten ist gleich das erste Kapitel („Film- und Fernsehanalyse als Gesellschaftsanalyse“), das die Relevanzbegründung einer soziologisch motivierten Untersuchung audiovisueller Medienangebote vornimmt, konkret die mediensoziologische Perspektive erläutert, den zugrunde liegenden Wirklichkeitsbegriff und die Rolle medialer Produkte diskutiert sowie die methodologischen und methodischen Konsequenzen daraus aufzeigt. So hebt sich die Publikation mit dem Ausgangspunkt medialer Lebensverhältnisse und dem Rekurs auf den Wirklichkeitsbegriff in der Tradition der Wissenssoziologie Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns wohltuend ab von der großen Mehrheit der deutschsprachigen Einführungen in die Filmanalyse – die wohlgemerkt in anderen Disziplinkontexten entstandenen sind. „Produkte aus Film und Fernsehen sind grundsätzlich als Instanzen der Sinngebung zu betrachten“, heißt es hier, „die auf verschiedene Arten und Weisen an der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit teilhaben“ (S. 10). Und wenn sie, wie ausführlich dargelegt, „sowohl Generatoren als auch Transformatoren sozialer Wirklichkeit“ sind, dann ist es nur folgerichtig, die „medial konfigurierten Ordnungen des Wissens und der Werte“ als zentrales Anliegen der soziologischen bzw. sozialwissenschaftlichen Film- und Fernsehanalyse zu benennen: Was wird „zu einem gegebenen Zeitpunkt als aktuell, relevant, wissenswert sowie existenziell, moralisch oder politisch empfehlenswert oder statthaft“ dargeboten? Und was lässt sich daraus über den „Orientierungshaushalt der Gesellschaft“ schlussfolgern (S. 13)? Natürlich gibt es gute Gründe, die in dem Studienbuch vorgestellte Forschungsagenda ganz auf das audiovisuelle Produkt zu fokussieren und hermeneutisch, gemäß dem interpretativen Paradigma seine Machart (das Ergebnis des Zusammenspiels von Bild und Ton) unter die Lupe zu nehmen. Mag die theoretische und die methodische Perspektive zwar dennoch dafür sensibilisieren, dass Filme immer mehrere Rezeptionsmöglichkeiten enthalten und Aneignungsprozesse aufseiten des Publikums lediglich vorstrukturieren. Von Gewinn wäre es indes auch gewesen, die in den Film- und Fernsehangeboten zum Ausdruck kommende Produktionslogik zumindest theoretisch stärker zu reflektieren. Dass auch konkrete Machtstrukturen im Entstehungsprozess audiovisueller Medien Einfluss darauf nehmen, welche (legitimen) Sinnmuster transportiert werden, bleibt auch im zweiten Kapitel („Forschungsdesign“), etwa im Hinblick auf die Forschungsfrage oder die Ausflaggung des Erkenntnisinteresses, weitgehend diffus.

Die Kapitel 3 bis 5 widmen sich dann dem Vorgehen einer solchen soziologischen Film- und Fernsehanalyse. Wenig überraschend werden hier die vielfältigen filmischen Inszenierungsmöglichkeiten (Stichwörter: Narration, Dramaturgie, Figuren, audiovisuelle Gestaltung, Genre) behandelt und für die Analyse (die schon bei der Protokollierung beginnt) sowie die Interpretation zugänglich gemacht. Positiv hervorzuheben ist nicht nur, dass dies stets vor dem Hintergrund erfolgt, den innewohnenden kommunikativen Gehalt (inwiefern bieten filmische Produkte wirklichkeitsrelevantes Orientierungswissen?) herauszuarbeiten. Auch sind die Ausführungen sehr anschaulich gehalten und arbeiten mit zahlreichen aktuellen Beispiel-Filmen und -Fernsehsendungen (einschließlich Stills in Farbe). Einzig: Dass zumindest hinsichtlich der Kinospielfilme beinahe ausnahmslos US-amerikanisches Anschauungsmaterial herangezogen wird (und deutsche Produktionen kaum eine Erwähnung wert sind), ist wohl dem Arbeitsschwerpunkt der Autorinnen geschuldet, sorgt aber doch für ein wenig Verwunderung. Abgerundet wird das Lehrbuch schließlich entsprechend der anvisierten Zielgruppe mit einer Anleitung zum Verfassen wissenschaftlicher Texte (Kapitel 6). Berücksichtigt man außerdem das vorgeschlagene Transkriptionssystem (im Anhang) und die auf der Verlags-Webseite zur Verfügung gestellte Software zur Protokollierung audiovisueller Daten, dürften anhand dieser Publikation in der Tat auch Neulinge im Feld alles vorfinden, was zur Durchführung einer soziologischen Film- oder Fernsehanalyse gemäß den beschriebenen Prämissen nötig ist.

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