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Gegen die „male gendered“ Film- und Fernsehindustrie

Rezension am 19. Dezember 2019

Weit mehr als nur ein Branchenbericht: Elizabeth Prommer und Christine Linke haben ihre Studie zur Darstellung der Geschlechter im deutschen Fernsehen und Kinofilm in Buchform gegossen. Die repräsentative Untersuchung belegt nicht nur eine eklatante Unterrepräsentanz von Frauen auf Bildschirm und Leinwand, sondern weist zudem einen klaren Zusammenhang mit den dahinterliegenden Produktionsstrukturen nach.

 

Elizabeth Prommer, Christine Linke: Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen. Köln: Herbert von Halem 2019.

Ausgangspunkt sei ein diffuses Gefühl gewesen, dass Frauen im deutschen Fernsehen und Film seltener vorkommen und wenn dann vor allem als junge Frauen, berichtet Maria Furtwängler im Vorwort. Die Schauspielerin und Produzentin war mit ihrer Stiftung MaLisa Initiatorin der repräsentativen Untersuchung zu Geschlechterdarstellungen in audiovisuellen Medien, die 2016 am Institut für Medienforschung der Universität Rostock mit finanzieller Unterstützung der Sendergruppen ARD, ZDF, RTL und ProSieben-Sat.1 sowie der Filmförderungsanstalt, der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen und des FilmFernsehFonds Bayern durchgeführt wurde und dann große mediale Aufmerksamkeit erlangte. Denn Frauen sind im deutschen Fernsehen und Film in der Tat, so der zentrale Befund der Studie, weit unterrepräsentiert, müssen zudem mehrheitlich Rollenklischees erfüllen und haben kürzere Auftritte vor der Kamera sowie weniger Wortanteile. Und das führt, folgt man den Studienleiterinnen Elizabeth Prommer und Christine Linke, unmittelbar zu der brisanten Frage, ob „die Bilder, die wir im Fernsehen und im Kino sehen und die vorgeben, die Realität abzubilden, möglicherweise den Fortschritt der Gesellschaft in Fragen der Geschlechterparität aufhalten“ (S. 13). Dass die Medienforscherinnen ihre fundierte Analyse des Ist-Zustandes in Sachen Geschlechterdiversität auf Bildschirm und Leinwand nun in Buchform gegossen und der kommunikationswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit – natürlich nicht ausschließlich – vorgelegt haben, bedeutet einen großen Gewinn.

Die 181 Seiten umfassende Publikation Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen ist keineswegs bloß ein Branchenbericht mit empirischer Basis. Der Leserin und dem Leser präsentiert wird hier eine aktuelle Bilanz zur Darstellung der Geschlechter in audiovisuellen Medien in Deutschland (die Ergebnisse beziehen sich vorrangig auf das Fernsehvollprogramm, auf Kinofilme und das Kinderfernsehen), die in internationale Diskurse eingebettet ist und ebenso auf den Forschungsstand verweist. Während die Diskussion der theoretischen Bezüge und die Darlegung des Untersuchungsdesigns den sozialwissenschaftlichen Charakter der Publikation unterstreichen, resümieren die Autorinnen vor allem im hinteren Teil des Buches (also nach der Präsentation der Befunde aus der Studie „Ausgeblendet“) die strukturellen Gründe der so ungleichen Geschlechterdarstellung, gewähren Einblicke in das Feedback auf ihre Untersuchung und denken schließlich ebenso über Wege zu mehr Vielfalt vor und hinter der Kamera nach.

Zurück zu den ersten Kapiteln: Wichtig und richtig ist natürlich die Feststellung gleich zu Beginn, dass Medien eine wesentliche Sozialisationsinstanz darstellen, die unser Denken und Handeln prägt und ebenso unsere Bilder und Vorstellungen von gesellschaftlicher Wirklichkeit kultiviert. Und selbstverständlich gehört dazu auch, dass Medien Realitätsvorstellungen und Identitätsentwürfe von Geschlecht liefern oder, kritischer gewendet, bestimmte Rollen und Geschlechterbilder immer wieder produzieren und somit schlussendlich auch zementieren (konkret: ein verzerrt konstruiertes und durch den männlichen Blick beeinflusstes Frauenbild, S. 14-15). Nach der Darlegung von Entstehungskontext und Ziel der Publikation informiert das darauf folgende Kapitel über die wissenschaftliche Literatur zu Geschlechterbildern in Fernsehen und Kino und kommt zu dem Schluss, dass es hierzulande anders als etwa in den Vereinigten Staaten an aktuellen, repräsentativen und umfassenden Bestandsaufnahmen der Geschlechter auf Bildschirm und Leinwand mangelt, was die Notwendigkeit der vorliegenden Arbeit unterstreicht. Mit viel Routine werden dann Erkenntnisse aus Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gender Studies skizziert und als wesentliche Bezugsfelder der vorliegenden Untersuchung deklariert. Deutlich zum Vorschein kommt dabei auch der normative Impetus einer Forschung im Bereich Gender Media Studies, welche Ungleichheiten und Asymmetrien im Kontext medialer Kommunikationsprozesse adressiert. So positionieren sich die Autorinnen unmissverständlich und halten fest: „Durch das Messen, Zählen und Aufzeigen von möglichen Ungleichheiten sollen Veränderungen möglich werden. Uns geht es nicht nur um die formale, sondern um die tatsächliche gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am politischen, kulturellen und medialen Leben.“ Und weiter: „Solange Frauen nicht gleichberechtigt in den Medien dargestellt werden, behindert dies die Entwicklung zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft“ (S. 32).

Nach Offenlegung des methodischen Vorgehens (standardisierte Inhaltsanalyse von 3500 Stunden Fernsehen verteilt über zwei künstliche Wochen 2016 und von allen 883 deutschen Kinofilmen im Zeitraum von 2011 bis 2016 sowie Feinanalyse der jeweils zehn erfolgreichsten Mainstream- und Arthouse-Filme ebendieser Jahre) werden dann systematisch und nachvollziehbar die wesentlichen Ergebnisse der Studie aufbereitet. Und diese haben es in sich. So zeigt die Untersuchung etwa, dass Frauen über alle Fernsehprogramme (Fiktion, Informationssendungen, Unterhaltungsshows) hinweg weniger sichtbar und weniger vertreten sind (auf eine Frau kommen durchschnittlich zwei Männer). Mehr noch: Mit zunehmendem Alter verschwinden sie immer mehr vom Bildschirm (auf eine Frau über 60 kommen sogar vier Männer gleichen Alters). Darüber hinaus sind es im deutschen Fernsehen mehrheitlich Männer, die uns als Experten, Moderatoren von Gameshows oder Sprecher die Welt erklären, während die Vielfalt der möglichen Entwürfe von Weiblichkeit weitgehend ausgeblendet bleibt und Frauen vorrangig stereotypisiert, in viel weniger Funktionen und fast nie in Führungsrollen vorkommen. Im Kinderfernsehen ist die Ungleichheit sogar noch gravierender: Auf eine Mädchenfigur kommen drei Jungenfiguren, Tiere und Fantasiefiguren sind in mehr als vier von fünf Fällen männlich und die gezeichneten Mädchenfiguren sind anders als ihre männlichen Pendants meist so elfenhaft dünn, dass sie anatomisch gesehen gar nicht existieren könnten. Für den Publikationskontext dieser Rezension am spannendsten sind natürlich die Befunde zum deutschen Kinofilm. Auch hier gilt, dass Frauen weniger sichtbar sind (ihr Anteil an den zentralen Rollen beträgt 42 Prozent, an den Nebenrollen 40 Prozent), wenig vielfältig dargestellt werden (etwa hinsichtlich sexueller Orientierung, Körperstatur, Berufsfeld und beruflicher Stellung) sowie kürzer im Bild sind und weniger zu sagen haben. Und ebenso verschwinden sie ab Mitte 30 sukzessive von der Kinoleinwand. Bezeichnenderweise, das macht die Feinanalyse ersichtlich, sind deutsche Kinofrauen sowohl in Mainstream- als auch in Arthouse-Filmen meist auf Partnersuche, agieren viel seltener im beruflichen Umfeld und sind ihre Rollen wesentlich statischer und eindimensionaler angelegt.

Dass es das Buch nicht mit diesen Befunden bewenden lässt, macht seinen größten Mehrwert aus. Denn nun wird der Fokus erweitert und auf Studien zur deutschen Film- und Fernsehindustrie verwiesen, die in den vergangenen Jahren in Verbindung mit oder am Rostocker Institut für Medienforschung entstanden sind und zeigen, dass Frauen in beinahe allen kreativen Bereichen der Branche unterrepräsentiert sind und dass beispielsweise Regisseurinnen für ihre Kinofilme weniger Fördergelder erhalten, mit niedrigeren Budgets arbeiten und sich mit kleineren Kinostarts begnügen müssen. Belegen lässt sich die Unterrepräsentanz von Frauen in der Branche auch für das in der Studie „Ausgeblendet“ untersuchte Fernsehprogramm und die herangezogenen Kinofilme. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass es keineswegs unbedeutend ist, wie es um die Geschlechterverteilung hinter der Kamera bestellt ist. Denn je mehr Frauen dort in Leitungsfunktionen agieren, so machen die Autorinnen deutlich, desto mehr Frauen sehen wir dann auch als Protagonistinnen: „Wir weisen in unserer Studie einen klaren Zusammenhang nach zwischen dem Geschlecht der Filmschaffenden und dem, was wir auf dem Bildschirm und der Leinwand sehen. Das heißt, es spielt sehr wohl eine Rolle, ob Redaktion, Regie oder Drehbuch von einer Frau oder einem Mann besetzt werden“ (S. 150). Um dieser „male gendered“ Industrie entgegenzuwirken, in der Frauen strukturell und folgenreich benachteiligt werden, formulieren Elizabeth Prommer und Christine Linke schließlich eine Reihe von Forderungen. Diese reichen von einer paritätischen Verteilung öffentlicher Fördermittel hinsichtlich der Besetzung von Regie, Drehbuch und Produktion über Gender-Monitoring-Maßnahmen in Redaktionen, neue Wege der Rekrutierung von Expertinnen für Informationssendungen und abwechselnde Besetzung von für die Handlung irrelevanten Nebenrollen im Bereich Fernsehen bis hin zur Stärkung des gendersensiblen Erzählens und der Erhöhung der Professorinnenzahl an Filmhochschulen. Grundsätzlich, so resümieren Prommer und Linke, seien nachhaltige Veränderungen jedoch nur zu erwarten, wenn es gesetzliche Vorgaben und festgeschriebene Quotenregelungen für die gesamte Branche gebe.

Ausgeblendet bereitet ein hochaktuelles und hochrelevantes Thema wissenschaftlich fundiert und ausgesprochen leserfreundlich auf. Wie legitim das Anliegen der Autorinnen (und der Initiatorin) ist, verdeutlicht nicht zuletzt das ebenfalls im Buch enthaltene Resümee der Medienresonanz zur Studie, und hier insbesondere zum Claus-Kleber-Interview mit Maria Furtwängler im „heute journal“, das eindrucksvoll veranschaulicht, wie festgefahren die Strukturen tatsächlich sind. Dass sich die Publikation zudem in der Kommunikationswissenschaft verortet, ist mehr als zu begrüßen, da das Fach mit dem Medium Film immer noch Berührungsängste hat und der Fokus nur in Ausnahmefällen auf die Produktionsstrukturen hinter den medialen Wirklichkeitskonstruktionen gerichtet wird.

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