Direkt zum Inhalt


Über das Nebeneinander von Kino- und Streaming-Angeboten

Bericht am 16. Februar 2021

Beim 16. Akademie-Gespräch der Berliner Akademie der Künste wurde am 9. Februar 2021 über die Zukunft des Kinos diskutiert – weniger kontrovers als vermutet, dafür umso gewinnbringender.

 

Versetzt die Corona-Pandemie dem schon länger in der Krise befindlichen Kino den Todesstoß? Löst sie, weniger martialisch formuliert, einen Katalysatoreffekt in der Kinobranche aus, deren Geschäftsmodell (mit starren Auswertungsfenstern und Sperrfristen für Filme) ohnehin brüchig geworden ist? Seit Monaten sind große Multiplexkinos und kleine Lichtspieltheater landauf landab geschlossen. Wann und wie sie wieder öffnen können, steht in den Sternen. Noch mehr Sorge bereitet den Kino-Unternehmen aber die Ungewissheit, ob das Publikum überhaupt noch einmal den Weg zurück vor die große Leinwand findet. Denn im Lockdown haben Filminteressierte das eigene Wohnzimmer aufgerüstet und Streaming-Plattformen Millionen neue Abonnenten hinzugewonnen (der Umsatz etwa von Netflix stieg im letzten Quartal 2020 auf 21 Milliarden Euro). Die Ankündigung des US-Majors Warner Bros., alle diesjährigen Blockbuster zeitgleich im Kino und beim eigenen Streaming-Dienst HBO Max zu zeigen, passt da natürlich wunderbar ins Bild.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage hat die Berliner Akademie der Künste am 9. Februar 2021 zum 16. Akademie-Gespräch mit dem Titel „Kinolandschaften und Streamingwelten“ geladen. Die leitenden Fragen: Wie können sich Kino- und Streaming-Angebote gegenseitig bereichern? Und wie kann das Kino angesichts von Abstandsregeln und Unterfinanzierung für die Zukunft gerettet werden? Die Akademie der Künste folgte damit der Tradition, im Vorfeld der Berlinale über aktuelle filmpolitische Themen zu diskutieren – auch wenn die diesjährige Ausgabe von Deutschlands A-Filmfestival verschoben ist bzw. fürs Erste ohne Publikum stattfinden muss und auch die Diskussionsveranstaltung lediglich als Livestream im Internet anstatt im Akademie-Gebäude am Pariser Platz zu verfolgen war (dafür kann man die Aufzeichnung der Veranstaltung auch jetzt noch ansehen).

Dass das von FAZ-Filmkritiker Andreas Kilb moderierte Akademie-Gespräch durchaus Raum für unterschiedliche Perspektiven geben sollte, machte die Zusammensetzung des Panels deutlich: Neben Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und Präsidentin der Akademie der Künste, nahmen an der virtuellen Diskussion teil Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater Kino, John Barrenechea, Vizepräsident der Streaming-Dienstes MUBI, und Meret Ruggle, Geschäftsführerin der Schweizer Stiftung trigon-film (Verleih, DVD-Label und Online-Plattform), ferner Christoph Terhechte, Intendant und Geschäftsführer von DOK Leipzig, sowie Anna Winger, Autorin, Schöpferin und vor allem Produzentin der Netflix-Serie Unorthodox.

Die rund eineinhalbstündige, auf Englisch geführte Diskussion verlief dann jedoch weit weniger polarisiert, als zu erwarten gewesen wäre. Natürlich brachte Christine Berg mit der Stimme von rund 600 Kino-Betreibern in ihrem Verband die bekannten Argumente für eine vorrangige Kinoauswertung von Filmen auf den Tisch (gemeinsames und konzentriertes Film-Erleben mit großer Leinwand) und gab ihrer Hoffnung auf umfassende staatliche Finanzspritzen sowie eine zeitnahe Öffnung der Kinosäle oder zumindest ein Mehr an Planungssicherheit Ausdruck. Und wenig überraschend lobte Anna Winger ihre so erfolgreiche Partnerschaft mit Netflix (eine „Pipeline“ für Inhalte, die Zielgruppen auf der ganzen Welt finden können). Dass das Nebeneinander von Kino- und Streaming-Angeboten allerdings allen voran eine Chance bedeuten kann, wie es Christoph Terhechte aus Festival-Perspektive veranschaulichte (DOK Leipzig ging 2020 im Kino und im Internet über die Bühne und erschloss sich auf diesem Weg neue Publika), war in der Diskussion durchaus Konsens. Vielleicht auch weil Streaming-Dienste zumindest in der gegenwärtigen Situation die einzige Möglichkeit sind, dass Filme und Serien ihr Publikum finden.

Doch überhaupt: Streaming bedeutet ja längst nicht nur Amazon, Netflix und Co. Stellvertretend für eine Reihe deutlich kleinerer Plattformen gaben Meret Ruggle und John Barrenechea wertvolle Anregungen, wie eine diverse Filmlandschaft auch in Zukunft zugänglich gemacht werden könnte. Die Stiftung trigon-film richtet den Fokus auf Independent-Filme und Erstlingswerke aus Lateinamerika, Asien und Afrika (eine Nische, die auch schon vor Corona kaum von den Kinos hierzulande bedient wurde) und erreicht so durchaus mit Erfolg ein junges, filmaffines Publikum – in den ersten Lockdown-Tagen brachen die Server sogar wegen Überlastung vorübergehend zusammen, wie Meret Ruggle berichtete. Die Online-Plattform MUBI, erklärte John Barrenechea, offeriert ihren Mitgliedern dagegen jeweils 30 sorgfältig kuratierte und redaktionell aufbereitete internationale Arthouse-Filme im Original, Klassiker und Debüts noch ohne Verleih sowie thematische Reihen und Retrospektiven (die Idee: jeden Tag wird ein Film ersetzt). Und auch hier sprechen zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die darüber hinaus die Möglichkeit haben, Filmkritiken zu schreiben und sich so mit der Community auszutauschen, eine deutliche Sprache.

Zweifelsohne dürften Anbieter wie trigon-film und MUBI das Streaming-Universum bereichern. Stellen sie aber auch eine Konkurrenz für Kinos dar? Oder fördern sie nicht eher die Filmkultur als Ganzes? Vielleicht könnte ja gerade das beim Akademie-Gespräch so spannend vorgestellte MUBI-Modell eine Anregung für die Zukunft des Kinos nach der Pandemie sein. Ein kuratiertes Programmangebot im Kino und im Netz, jeweils mit einem passenden Erlösmodell (und natürlich keineswegs automatisch begrenzt auf Arthouse oder Nischen-Filme). So ähnlich hat es schon Mikosch Horn (Filmhaus Nürnberg) in seinem vielbeachteten Beitrag auf filmdienst.de weiter ausgeführt.

Alle Berichte