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Risiko eingehen und einfach trotzdem machen

Bericht am 30. Juni 2016

Einstündige Diskussion über die gegenwärtigen Strukturen der Filmbranche in Deutschland und die Zukunft des deutschen Films am 29. Juni 2016 beim Filmfest München. Auf dem Podium: Aron Lehmann, Miriam Klein, Uisenma Borchu, Daniel Sonnabend und Anatol Nitschke.

 

Wie weiter mit dem deutschen Film? Wie den strukturellen Herausforderungen in der Branche begegnen? Um über diese Fragen zu diskutieren, veranstaltete das Filmfest München am 29. Juni in der Reihe „Filmmakers Live“ das Kino-Zeit-Panel „Auf Festivals geliebt, im Kino nicht wahrgenommen. Zukunftsaussichten des deutschen Films“. Moderiert wurde die einstündige Nachmittagsveranstaltung im Vortragssaal der Bibliothek am Münchner Gasteig von Urs Spörri und Harald Mühlbeyer, geladen waren die Filmregisseure und Drehbuchautoren Uisenma Borchu (Schau mich nicht so an) und Aron Lehmann (Die letzte Sau), die Produzentin Miriam Klein (a little. film production), der Producer Daniel Sonnabend (Pantaleon) sowie der Filmproduzent und Filmverleiher Anatol Nitschke (deutschfilm).

Deutsche Arthouse-Filmemacher haben es schwer. Handfeste Geldsorgen beklagt die FIPRESCI-Preisträgerin Uisenma Borchu, deren Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München kein Fördergeld einstrich („zu radikal“, „zu sexuell“, „zu hohes Risiko“). Miriam Klein berichtet davon, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen bei Drehbuchverträgen schon mal klare Ansagen macht („Ihr müsst Preise gewinnen“) und dass die Projektplanung nicht einfacher wird, wenn die regionalen Filmförderungen ihre Zusagen aneinander koppeln. Für Aron Lehmann war klar, dass er nicht nur alle sechs Jahre einen Film machen und „nie Cappuccinos servieren“ wollte, weshalb auf Kohlhaas die Culture-Clash-Komödie Highway to Hellas folgte (die „Unterscheidung von Kunst und Kommerz“ gehöre sowieso „begraben“). Da es für Letztere aber auch keine Förderung gab, wurde Warner von der Produktionsfirma Pantaleon ins Boot geholt, ergänzt Daniel Sonnabend. Wie groß war dann aber noch die Unabhängigkeit? Gering. Es sei vor allem darum gegangen, Konsens zu erzielen und alle glücklich zu machen. Anatol Nitschke, der gerade dem deutschen Film „ein Gesicht geben“ möchte, ist bestens vertraut mit der bisweilen herauszuhörenden Frustration über die Förderer und die Sender vonseiten der Filmemacher (wenngleich Lehmann nicht in das „Förder-Bashing“ einstimmen möchte, weil die Förderinstitutionen genauso wie die Hochschulen dafür sorgten, dass nicht nur reiche Kinder Filme machen könnten, und Klein von einem „sehr guten Fördersystem“ spricht, um das die deutsche Filmbranche im Ausland beneidet werde). Nitschkes Strategie: das Risiko eingehen und einfach trotzdem produzieren – wenn man die Regisseure lange kennt und ihnen vertraut (wie im Fall von Sebastian Schipper, dessen Drehbuch zu Victoria nur drei Seiten umfasste) oder wenn man von ihrem Talent und der Qualität des Drehbuchs überzeugt ist (so geschehen bei Herbert, dem Langfilmdebüt von Thomas Stuber).

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die beide genannten Beispiele im vergangenen Jahr erzielt haben, gibt Nitschke natürlich im Nachhinein recht. Doch was ist zu tun, damit deutsche Filme tatsächlich auch ein größeres Publikum erreichen und nicht größtenteils in der Special-Interest-Nische gefangen bleiben? Während Anatol Nitschke den oft zitierten Kannibalisierungseffekt als Mitgrund ausmacht („zu viele Absolventen“, „zu viele Produzenten“) und eine Radikalkur anmahnt (weniger Filme, dafür mehr Innovation, es brauche etwas Besonderes), kristallisieren sich nach einer Dreiviertelstunde zwei weitere Vorschläge heraus, die anscheinend von allen Diskussionsteilnehmern goutiert werden: zahlungspflichtige Streaming-Plattformen im Internet vom Kinostart weg (gerne auch in Kooperation mit Kinobetreibern) und eine Verkürzung der Sperrfrist, vor allem für Filme mit weniger als 10.000 Zuschauern. Den Filmemachern in Deutschland die Chance geben, dass man ihre Arbeiten sieht. Vielleicht lässt sich dann ja auch nicht erst nach dem dritten Film mit dem Geldverdienen anfangen. Und mehr Zuschauer würden natürlich auch die eigene Position in der Branche stärken.

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